Sehr geehrte Damen und Herren
 
Ich bin Raumplaner. Ich befasse mich also beruflich mit der Zukunft unseres Landes. Dabei stelle ich mir stets die Fragen: Woher kommt etwas? Wohin führt es? Das gleiche gilt auch bei der Fusionsdiskussion: Woher kommt sie? Wohin führt sie?
 
Ich höre immer wieder, man müsse wegen der Raumplanung fusionieren. Nein, meine Damen und Herren, aus Erfahrungen weiss ich, dass es nicht an der Raumplanung liegt, wenn gemeindeübergreifende Probleme auftreten, sondern an der Unfähigkeit der Behörden, gemeinsame Lösungen zu suchen und zu finden.
 
Woher kommt die Fusionsdiskussion?
 
Was ist passiert, dass man plötzlich über Gemeindefusionen spricht? Es sind Planungen von oben in der EU (EUREK), beim Bund (Neue Regionalpolitik) und beim Kanton (Gebiets- und Gemeindereform), welche die Gemeinden auflösen lassen. Mit der neuen Regionalpolitik setzen Bund und Kantone Vorgaben der EU-Raumplanung um. Diese Raumplanung dient nur den international tätigen Grossfirmen. Erst nach Konzentration der Bevölkerung in grösseren Zentren lohnt es sich für die meisten dieser Grossfirmen und Handelsketten, unsere lokale KMU-Wirtschaft zu konkurrenzieren. Es gelingt ihnen, die KMU-Wirtschaft nachhaltig zu zerstören.
 
Bund und die Kantone werden dabei von einer Firma in Zürich unterstützt, die Avenir Suisse heisst. Die Firma wird von der Hochfinanz bezahlt und hat den Auftrag, mit Studien eine Umwälzung der Schweiz in die Wege zu leiten. Die Schweiz soll für internationale Grossfirmen umstrukturiert und fit gemacht werden. Im Jahr 2005 hat die Avenir Suisse diese Karte veröffentlicht. Als die Luzerner Regierung und der Stadtrat die Zentralschweiz als weissen Fleck sahen, bekamen sie Angst, dass die Zentralschweiz untergeht. Aus dieser Angst ist das Fusionsprojekt entstanden. Dürfen wir es uns bieten lassen, dass Gemeinden wegen dieser Karte aufgelöst werden? Ich meine Nein.
 
Die bedenkliche Rolle des Kantons im Fusionstheater
 
1. Akt 
Der Kanton überwälzt den Gemeinden immer mehr Aufgaben. Die Aufgaben, die der Kanton bis anhin wahrgenommen hat. Folge: Die Gemeinden müssen sich intern neu ausrichten, führen Sparprogramme durch und übertragen somit die Mehrlast auch dem Volk.
 
2. Akt
Der Kanton dreht den Geldhahn zu. Die Gemeinden erhalten immer weniger Subventionen und finanzielle Mittel. Die Gemeinden - mit Mehraufgaben belastet (siehe erster Akt) - geraten in einen finanziellen Engpass. Die Gemeinden sehen sich gezwungen, mit andern Gemeinden zusammenzuschliessen. Sie beginnen laut über Fusionen zu sprechen.
 
3. Akt 
Der Kanton ist erfreut über die Fusionspläne der Gemeinden und bietet ihnen als Zückerchen einen Fusionsbatzen an. "Wenn ihr Littauer und Luzerner fusioniert, erhält ihr von unserem Kantonskässeli 20 Mio Franken." Und schon hat man die Stimmbürger geködert, gekauft und über den Tisch gezogen.
 
Soweit zur fragwürdigen Rolle des Kantons.
 
Wohin führt die Grossfusion Luzern?
 
Die Grossfusion widerspricht dem Bundesgesetz über die Raumplanung. Das Bundesgesetz über die Raumplanung sagt im Art. 1 Abs. 2: "Die Kantone unterstützen mit Massnahmen der Raumplanung insbesondere die Bestrebungen, auf eine angemessene Dezentralisation der Besiedlung und der Wirtschaft hinzuwirken."
 
Die Grossfusion Luzern bewirkt das pure Gegenteil. Die Grossfusion will keine Dezentralisation der Besiedlung und der Wirtschaft, sondern eine Konzentration der Besiedlung und Wirtschaft im Grossraum Luzern. Die Grossstadt Luzern soll zum Zentrum der Zentralschweiz werden, damit auch des Kantons.
 
Was bedeutet die Wirtschafskonzentration in Luzern für die Landgemeinden und für die Stadt? Wohin führt das?
 
Die Landgemeinden sind die grossen Verlierer
 
Die Reformpolitik hat Hochkonjunktur (Aufgabenreform, Strukturreform, Finanzreform). Schulen werden geschlossen, Spitäler werden zusammengelegt usw. Schüler, Lehrer, Patienten, Ärzte und Spitalpersonal werden wie Schachfiguren über das Kantonsgebiet neu verteilt. Dies geschieht unter dem Vorwand der Finanzpolitik. Aber im Grunde genommen geht es um die Strukturpolitik. Es geht um die Umsetzung der Neuen Regionalpolitik des Bundes, die im Kanton Luzern Gemeindereform 2000+ heisst: In Zukunft soll der Kanton nur noch aus 15 bis 20 Zentren bestehen. Ländliche Gebiete, die wirtschaftlich nicht mithalten können, erhalten keine Unterstützung mehr. Die Politiker in der Stadt haben die Landschaft längst aufgegeben und zur Umsiedlung in die Zentren verurteilt.
 
Der Wirtschaftskuchen wird nicht grösser. Deshalb wird der Verteilkampf um ein Stück Kuchen immer härter. In einem solchen Kampf sind die Leidtragenden die Kleinen, es sind die Landgemeinden. Die dezentralen Leistungen werden in den einzelnen Ortschaften abgebaut. Das beginnt mit der Schliessung der Post, dann schliesst das Lebensmittelgeschäft, es folgt die Schule, die Arztpraxis usw. Für die Lebensqualität bedeutet dies, dass man immer grössere Strecken zurücklegen muss, um die täglichen Bedürfnisse abzudecken. Für jedes Mitglied einer Familie braucht es ein Auto. Das heisst mehr Umweltbelastung.
 
Die reiche Stadt Luzern soll ihre Aufgaben alleine erfüllen, also ohne Steuersubventionen der Landschaft. Jeder Franken, der zusätzlich in die Stadt fliesst, führt zu einer Machtkonzentration im städtischen Zentrum: Diese Machtkonzentration kommt - entgegen schönfärberischen Behauptungen - nicht der Luzerner Landschaft zugute, sondern verstärkt die Abwanderung vom Land in die Stadt. Die Lebensfähigkeit vieler Dörfer auf dem Lande wird bedroht. Über die Hälfte der Kantonsbewohner soll nach Beendigung der Fusionswelle im neuen Gross-Luzern wohnen. So kann die Stadt die Kantonspolitik zukünftig alleine bestimmen. Das Gleichgewicht zwischen Stadt und Land wird zerstört.
 
Und im Grossraum Luzern? Wohin führt die Grossfusion? Die Lebensqualität sinkt!
 
Wenn immer mehr Menschen in die Grossstadt pendeln, bedeutet dies eine Zunahme des Verkehrs, führt dies zu mehr Stau. Das Autobahnnetz muss auf 6 Spuren ausgebaut werden, nicht nur zwischen Emmen Nord und Verzweigung Rotsee, sondern auch zwischen Buchrain und Verzweigung Rotsee. Ein Ausbau der Autobahn mag vielleicht noch machbar sein, aber die Verkehrszunahme ist auch bis im Zentrum der Stadt bemerkbar, wo ein Ausbau des Strassennetzes unmöglich ist. Die Erschliessungsqualität auf Quartierstufe wird markant abnehmen. Die Anlieferung der Geschäfte wird erschwert. Kunden ziehen es vor, Einkaufszentren aufzusuchen. Auch in der Agglomeration nimmt die Umweltbelastung massiv zu; die Wohnqualität wird schlechter.
 
Ich bin auch überzeugt, dass es eine Frage der Zeit ist, dass der Flugplatz Emmen für eine zivile Nutzung generell geöffnet wird. Der neue Super-Bahnhof Emmen ist eine entsprechende Vorinvestition für die Bahnerschliessung des Flughafens Zentralschweiz.
 
Je grösser und mächtiger Gross-Luzern wird, umso mehr nehmen die bekannten Gross-Stadtprobleme wie Gewalt, Vandalismus, Drogen, Sozialfälle, Sexgewerbe und Ghetto-Bildungen zu. Der Stadtraum ist heute schon beängstigend übernutzt. Je mehr Geld ins Zentrum gepumpt wird, umso mehr Menschen, Verkehr und Energieverbrauch folgen dorthin. Luzern hat besondere Qualitäten, zu denen man Sorge tragen muss. Luzern hat es nicht nötig, andere Grossstädte abzukupfern. Die Zeiten des quantitativen Wachstums sind vorbei. Gefragt ist ein qualitatives Wachstum.
 
Gross ist nicht besser: Beispiel Zürich
 
Grossfusionen in Luzern sind ein Wachstumsprojekt für eine Grossstadt wie Zürich. Doch Zürich hat die grössten raumplanerischen Probleme. Kaum hat man ein raumplanerisches Problem gelöst, taucht schon das nächste Problem auf. Millionen von Franken sind im Grossraum Zürich für Infrastrukturen verlocht worden, sie haben aber immer noch Stau, Flug- und Strassen-Lärm, Feinstaub etc. - und in einem Ausmass, das viel grösser ist, als in Luzern. Wollen wir auch bei uns solche Zustände?
 
Kein Wunder, suchen immer mehr Zürcher im Raum Luzern Bauland, weil eben hier die Lebensqualität noch stimmt.
 
Die Raumplanung funktioniert auch in einer Agglomeration mit kleinräumig strukturierten eigenständigen Gemeinden: Beispiel Basel
 
Die Raumplanung bzw. die Agglomeration Basel erstreckt sich über mehr als 25 Gemeinden, 4 Kantonen und 3 Staaten. Trotz dieser Grenzen gelingt es den Basler, diese Hindernisse erfolgreich zu überwinden. Dass Grenzen keine Hindernisse sind, zeigt das neuste Beispiel: Zurzeit plant man Verlängerungen von zwei Tramlinien, die eine Richtung Frankreich und die andere Richtung Deutschland.
 
Und noch etwas: Grossfusion bringt Verlust der Identität: Beispiel Kriens. Die StimmbürgerInnen der Gemeinde Kriens haben in den letzten Jahrzehnten bewiesen, dass sie weitsichtige raumplanerische Entscheide getroffen haben.
 
Ich denke an die Freihaltung des Schlösslihangs oder unseres Naherholungsgebietes Sonnenberg. Ich denke aber auch an die Ablehnung des Fahrtenmodells im Schlund, an die Erhaltung der Meiersmatt-Wiese vor einer Grossüberbauung und schliesslich an die Annahme der Initiative gegen Hochleistungsantennen in Wohnzonen.
 
All dies sind Entscheide, welche nur in einer basisdemokratisch orientierten, kleinräumig und überschaubaren, eigenständigen Gemeinde möglich sind. Wären wir ein Quartier einer Grossstadt, hätten solche Bestrebungen zur Wahrung der Lebensqualität keine Chance.
 
Würde die Gemeinde Kriens eingemeindet, so müssten all diese für Kriens typischen Errungenschaften aufgegeben werden oder wären höchst gefährdet. Niemand kann uns die Garantie geben, dass diese raumplanerischen Entscheide in einem Gross-Luzern gesichert sind.
Eine Fusion ist immer mit dem Verlust solcher identitätsstiftenden und ortstypischen Charakterzüge einer Gemeinde verbunden. Das gilt nicht nur für Kriens, auch für alle andern Gemeinden.
 
Fazit
Verlierer sind wir alle, die wir hier leben, vor Ort: Die Lebensfähigkeit vieler ländlicher Regionen ist bedroht. Die Agglomeration wird einem brutalen Verstädterungsdruck ausgesetzt, der die Lebensqualität in den Zentren ruiniert.
 
Die Grossfusion und die Grossstadt Luzern lösen keine Probleme. Im Gegenteil: Als Wachstumsprojekt verursacht sie verheerende raumplanerische Probleme, ganz abgesehen von den Umweltbelastungen.
Die scheinbar bessere Raumplanung der Fusionisten führt
  • zur Überbauung der letzten Grünflächen innerhalb der Agglomeration, die notwendig sind,
  • zu grossstädtischen Verdichtungen (siehe Hochhäuser in der Allmend) und schliesslich
  • zu einer Verschlechterung der Lebensqualität.
 
Es darf nicht sein, dass wegen der Unfähigkeit der Stadt- und Gemeinderäte,miteinander gemeinsame raumplanerische Lösungen zu finden, ganze Gemeinden aufgelöst werden und Stimmbürger in ihrer Stimmkraft entmündigt werden.
 
Was tun?
 
Sicher nicht fusionieren bei raumplanerischen Problemen. Aus meiner beruflichen Praxis weiss ich, dass gemeindeübergreifende raumplanerische Fragen erfolgreich gemeistert werden können. Es braucht den Willen für die Zusammenarbeit, und wo der Wille ist, da ist auch ein Weg.
Raumplanerische Aufgaben im Bereich von Gemeindegrenzen sind situativ und projektbezogen mit den direkt betroffenen Gemeinden zu lösen. Es darf doch nicht sein, dass in Emmen oder Adligenswil darüber entschieden wird, wie die Gemeinden Kriens und Horw eine gemeinsame Quartierplanung im Schlund lösen.
 
Es braucht einen kantonalen Finanzausgleich, der die unterschiedlichen raumplanerischen Qualitäten unter den Gemeinden ausgleicht und den Gemeinden denFusionsdruck wegnimmt.
 
Ich fasse zusammen:
  1. Mit Gemeindefusionen bereiten wir das Feld für internationale Grosskonzerne vor, damit sich diese besser hier einnisten können und unsere lokale KMU-Wirtschaft nachhaltig zerstören.
  2. Raumplanung über mehrere Gemeinden funktioniert auch ohne Fusionen.
  3. Gross ist nicht besser, was zählt ist die Qualität
  4. Grossfusion bringt Verlust der Identität
  5. Viele werden verlieren, nur wenige profitieren.
Bei Gemeindefusionen ist nur Eines sicher: Die Gemeinde wird nachhaltig aufgelöst und die demokratische Stimmkraft wird abgebaut. Alles andere, meine Damen und Herren, ist Wunschdenken, sind Spekulationen und Versprechen, und dient der internationalen Globalwirtschaft und der Hochfinanz.
 
Der Fusionskredit von 20 Mio. Fr. ist ein Stimmenkauf mit unsern eigenen Steuergeldern!Er ist erst der Anfang. Gesamthaft werden für die Grossfusion 147 Mio. Fr bereitgestellt. Surseer und Hitzkircher sollen mit ihren Kantonssteuern die Fusion Luzern-Littau finanzieren, Luzerner und Littauer einige Jahre später umgekehrt mit ihren Kantonssteuern die Fusionen rund um Sursee und Hitzkirch: Ein Nullsummenspiel, das verdecken soll, dass Gemeindefusionen viel Geld kosten und nicht rentabel sind! Wir sind doch nicht so dumm, dass wir uns mit unsern eigenen Steuern je gegenseitig kaufen lassen, zumal dann bald in den fusionierten Gemeinden Steuererhöhungen oder Leistungsabbau drohen.
 
Ich schliesse mit einem Zitat von Prof. Bernd Scholl vom Institut für Orts-, Regional- und Landesplanung der ETH, das ich in der NLZ vom 23. Februar 2007 gelesen habe: "Die Attraktivität der Schweiz hängt von der überschaubaren Grösse der Städte und der schönen Landschaft ab."
Es gibt also keine Gründe für Gemeindefusionen. Deshalb:
"Wiiter dänke - Gmeinde eigeständig länke"
 
Gilles Morf
Raumplaner ETH/NDS
Einwohnerrat CHance21