Entlebucher Anzeiger:
Wie nur wird man dem Volk gerecht? Podiumsgespräch über die Änderung des Gemeindegesetzes
Während Hilmar Gernet und Robert Küng das neue Gemeindegesetz als verfassungsgemäss verteidigten, erachteten Gody Studer und Erwin Dahinden es als undemokratisch.
Vor einem kleinen Publikum diskutierten am Mittwoch in Werthenstein vier Politiker über das neue Gemeindegesetz. Dabei wurde klar, dass sie zwar ähnliche Grundsätze vertreten, aber verschiedene praktische Umsetzungen anstreben.
Wie respektiert man am besten den Willen des Volkes? Und wie kann man die Autonomie der einzelnen Gemeinden garantieren? Dies waren zentrale Fragen beim Podiumsgespräch zum neuen Gemeindegesetz am Mittwochabend in Werthenstein. Gerade mal zwanzig Besucher folgten der Einladung ins Restaurant Kloster – an jenem Abend, an dem der Gemeinderat wieder einmal mit demjenigen zweier Nachbarsgemeinden zusammensass und über die Zukunft Werthensteins sprach. Das Podium im Kloster wurde vom Verein gegen Gross-Luzern gemeinsam mit der SVP Werthenstein organisiert. Für das neue Gemeindegesetz argumentierten der Schenkoner CVP-Kantonsrat Hilmar Gernet sowie der Kantonsrat und fusionserprobte Gemeindepräsident von Willisau, Robert Küng (FDP). Auf der Gegnerseite diskutierten Erwin Dahinden, Kantonsrat der SVP Schüpfheim, und Gody Studer, Gemeindepräsident von Escholzmatt (CVP). Martin Spilker, redaktioneller Mitarbeiter beim EA, moderierte die Diskussion.
Kurs korrigieren «2007 wurde die neue Verfassung mit 64 Prozent der Volksstimmen angenommen und die meisten Bestandteile davon sind zu akzeptieren», sagte Anian Liebrand, JSVP-Politiker und Sekretär des Vereins gegen Gross-Luzern, zum Einstieg in den Diskussionsabend. Sein Verein stört sich jedoch am Paragrafen 74 über das Gemeindegesetz, weil er vom Kantonsrat verfügte «Zwangsfusionen» ermögliche und das Referendumsrecht abschafft, wenn zwei Gemeinden sich auf eine Fusion einigen konnten. Liebrand sieht im neuen Gemeindegesetz eine Strategie zur Stärkung der Gemeindereform 2000+ und der von der Regierung angestrebten wirtschaftlichen Entwicklungszentren Luzern und Sursee. Mit einem Nein gegen dieses Gemeindegesetz werde der eingeschlagene Kurs etwas korrigiert. Damit das Gesetz weiterhin mit der Kantonsverfassung übereinstimmt, hat der Verein auch eine Initiative zur Verfassungsänderung im Sinne des alten Gemeindegesetzes lanciert.
Demokratie beibehalten Der Volkswille sei zu respektieren, die Demokratie dürfe nicht eingeschränkt werden. Da waren sich alle Podiumsteilnehmer einig. Über die Umsetzung dieses Grundsatzes schieden sich jedoch die Geister. Während Gody Studer in der Abschaffung des fakultativen Referendums bei geplanten Gemeindefusionen eine Beschneidung des demokratischen Volksrechtes sah, plädierte Hilmar Gernet dafür, den Willen des Volkes zu akzeptieren und das Gemeindegesetz anzunehmen. Schliesslich habe sich das Volk vor eineinhalb Jahren demokratisch für die Verfassungsänderung ausgesprochen. Gernet bezweifelt, dass das Referendum gegen das Gesetz der richtige Ansatz sei und verweist auf die lancierte Initiative zur Verfassungsänderung. Er wirft den Gegenern vor, zurzeit einen Stellvertreterkrieg zu führen: «Es geht gar nicht darum, ob die Gemeinden selber entscheiden dürfen, sondern darum, sich gegen ‹Gross-Luzern› zu wehren.»
Autonomie der Gemeinden wahren Auch dass die Gemeindeautonomie gewahrt und die Gemeinde als Urzelle der Demokratie gestützt werden muss, war für alle vier Politiker unbestritten. Gerade deshalb möchten die Befürworter der Gesetzesänderung fusionswillige Gemeinden schützen und das fakultative Referendum abschaffen, wenn deren Bevölkerung demokratisch eine Fusion beschlossen hat. Gody Studer wendete aber ein, dass grössere Fusionen zu Ungleichgewichten führen oder Veränderungen bei Wahlkreisen, Kantonsratsmandaten oder dem Finanzausgleich bewirken könnten. Solche Verschiebungen beträfen demnach auch andere Gemeinden, und diese sollen weiterhin – quasi als Sicherheitsanker – ein Mitspracherecht haben. Gernet versuchte zu beruhigen, dass Fusionen vom Kantonsrat nur bewilligt würden, sofern sie sinnvoll seien und dass der Kantonsrat nicht gegen die Interessen der Bevölkerung entscheiden würde.
Randregionen sind Verlierer Als einziger fusionserprobter Politiker in der Runde berichtete Robert Küng von seinen Erfahrungen in Willisau. Er bestätigte Erwin Dahindens Befürchtung, dass die Randregionen durch die zunehmende Zentralisierung zu den Verlieren gehören. «Aber die Randregionen sind sowieso die Verlierer. Das hat wirtschaftliche Gründe und darauf haben Fusionen keinen Einfluss.» Im Gegenteil, durch den Zusammenschluss von Willisau Stadt und Land habe die Region eine koordinierte Stimme erhalten und so die Berufsschule erhalten können, sagte Küng. Grundlage für das Gemeindeleben seien die Dörfer, nicht die Gemeindegrenzen, und dieses Gesellschaftsleben finde weiterhin statt. Gernet verteidigte die Existenz von grossen Zentren, denn diese generierten Steuersubstrat – darunter jährlich 100 Millionen Franken, die dank der noch immer bestehenden Solidarität in die Randregionen fliessen würden. «So dass das Entlebuch und das Hinterland weiter existieren können», sagte der Schenkoner Politiker.
Der Fall Werthenstein Dass gerade Werthenstein als Austragungsort des Podiums diente, ist kein Zufall. Die hoch verschuldete Entlebucher Gemeinde könnte schon bald Kandidatin für eine sogenannte Zwangsfusion sein. Robert Küng verglich die Gemeinde mit seiner eigenen und stellte fest, dass Willisau die gleichen Probleme gehabt habe: gleiche Verschuldung bei gleichem Steuerfuss. «Willisau musste sich bewegen», sagte er. Dass der Regierungsrat Werthenstein den Entschuldungsbeitrag verweigert habe, sei ein Fehler, glaubt Küng, aber nun blieben der Gemeinde zwei Möglichkeiten: «Man kann fusionieren oder abspecken.» Letzteres heisse, die Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden suchen, was mit einem Demokratieverlust einhergehe, und auslagern: Verwaltung, Unterhalt, Schule. Ein Trost bleibt: Sollte der Kantonsrat auf Gesuch einer anderen Gemeinde eine Fusion anordnen, bleibt den Werthensteinern auch mit dem neuen Gesetz die Möglichkeit eines Referendums.
Marina Felder